Reiten ohne Sattel – ein Balanceakt?

Die Bewegung des Pferdes unmittelbar spüren, genau wie die Wärme des Pferdekörpers und irgendwie auch der Nervenkitzel, keinen echten Halt zu haben – ohne Sattel reiten ist tief mit unserer “Pferdemädchensehnsucht” verknüpft. Viele machen es eh schon regelmäßig, andere würden es gern mal ausprobieren, aber trauen sich nicht. Davon abgesehen, dass es uns einfach glücklich macht, hat das gelegentliche Reiten ohne Sattel auch für die dressurmäßige Ausbildung einige Vor- aber auch Nachteile.

In diesem Beitrag erfährst du, 

  • was beim Reitersitz ohne Sattel zu beachten ist 
  • wann es für deine reiterliche Entwicklung hilfreich ist, ohne Sattel zu reiten
  • wieso es trotz seiner Vorteile keine Dauerlösung sein sollte
  • meinen Nummer 1 Tipp, um das Traben ohne Sattel zu entwickeln

Der Reitersitz ohne Sattel

Wenn du ohne Sattel reitest, gibt es zwei wesentliche Punkte, in denen sich dein Sitz vom Reiten mit Sattel unterscheidet:

Erstens ist dein Absatz nicht der tiefste Punkt, sondern die Fußspitze. Drückst du den Absatz aktiv runter, verspannst du dein Bein und kannst nicht mehr so locker mitschwingen. Wenn du bereits ohne Sattel auf deinem Pferd reitest:

Probier das gerne mal aus: Lasse deinen Fuß einmal entspannt hängen und fühl in dein Bein. Insbesondere auch in dein Hüftgelenk. Jetzt zieh deine Fußspitze mal aktiv hoch. Merkst du, wie sich dein ganzes Bein bis in den unteren Rücken hinauf verspannt? Wenn du mit Sattel reitest, ist das kein Problem: Hier wird dein Fuß durch den Steigbügel “aufgefangen” und die Gelenkkette kann elastisch mitfedern, so wie das für einen mitschwingenden Sitz wichtig ist. Ohne Bügel musst du diese Position aktiv halten. Das führt zu Verspannungen in deinem Sitz.

Zweitens darf dein Oberschenkel etwas mehr nach vorne gehen, als beim Reiten mit Sattel. Das lässt sich anatomisch begründen: Der Sattel bildet eine Art “Übergang” zwischen uns und dem Pferd. Reiten wir ohne Sattel, sitzen wir direkt auf dem Rücken, was dazu führt, dass das Pferd zwischen unseren Beinen direkt breiter ist. Diese Breite kannst du nur ausgleichen, wenn du den Oberschenkel etwas mehr nach vorne nimmst. Wie viel das ist, hängt einerseits von der Breite deines Pferdes und andererseits von deiner Anatomie ab. Wenn du balanciert mittig sitzt, sind deine Oberschenkelinnenseiten entspannt. Wenn du mal aus dem Gleichgewicht kommst, spannst du sie an, um zu verhindern, dass du runterrutscht. Wichtig ist es, dieses Festhalten dann immer wieder direkt zu lösen, wenn du wieder in der Mitte bist.

Wann ist ohne Sattel reiten hilfreich?

Für dich hat das ohne Sattel reiten den Vorteil, dass du besser ins Spüren kommst. Du kannst die Pferdebewegung ungefiltert wahrnehmen. Der Sattel unterstützt dich im Idealfall, dich richtig auf dem Pferd zu positionieren, ohne dich in deiner Beweglichkeit einzuengen. Allerdings bietet er dadurch auch Möglichkeiten, sich festzumachen. Dann befindest du dich nicht im Bewegungsdialog mit deinem Pferd, sondern „hältst“ dich buchstäblich oben. Das funktioniert ohne Sattel nicht ganz so gut: Spätestens im Trab musst du das richtige Verhältnis zwischen An- und Entspannung in deinem Körper gefunden haben, sonst kommst du ins Rutschen oder hüpfst zumindest unkontrolliert im Rücken deines Pferdes hoch und runter. 

Dadurch, dass du nicht durch einen Sattel gehalten wirst, merkst du z.B. auch beim Reiten der Seitengänge viel schneller, wenn du aus deiner Mitte gerätst und dich festmachst, besonders wenn du auf dem blanken Pferderücken sitzt. Benutzt du ein Barebackpad wird dieser Effekt etwas relativiert. Barebackpads geben dem Reiter mehr Sicherheit, und machen das ohne Sattel reiten wohl auch fürs Pferd komfortabler, aber der Reiter kann sich eben auch etwas mehr festklammern.

Finde heraus, ob dein Sattel noch passt

Ich schätze das ohne Sattel reiten besonders, wenn du dir nicht sicher bist, ob dein Sattel nicht (mehr) passt. Hier kannst du gut ausprobieren, ob Anlehnungsprobleme, Verspannungen, Stellungsprobleme, fehlendes Vorwärts oder schwieriges Seitwärts ihren Ursprung in der Passform des Sattels haben. Wenn das so ist, sind diese Probleme beim Reiten ohne Sattel direkt deutlich verbessert. Voraussetzung dafür ist, dass du ausreichend gut ohne Sattel reitest, um das zu überprüfen. Wenn dein Sattel aber stark stört, ist eine Verbesserung der Bewegung oft schon im Schritt zu spüren. Das geht auch, wenn du noch nicht so viele Reitkilometer ohne Sattel auf dem Tacho hast.

Wenn dein Pferd ausgeprägte Verspannungen im Rücken hat, würde ich es erstmal ein paar Tage ohne Reiter arbeiten. Z.B. an der Longe, natürlich am Kappzaum und unausgebunden, und spazierengehen. Ich habe zum Glück noch keine negativen Erfahrungen gemacht, wenn ich Pferde, die das Reiten ohne Sattel nicht gewohnt waren, so geritten habe. Aber ich kann mir vorstellen, dass ein Pferd, das Rückenschmerzen hat, unerwartet reagiert, wenn sich ein unerfahrener Reiter auf den blanken Rücken setzt. Grundsätzlich finde ich es schwierig, wenn ein Pferd, das offensichtlich Probleme im Rücken hat, dann auch noch geritten wird. Zumindest wenn es ohne eine fundierte gymnastische Ausrichtung erfolgt.

Deinem Pferd gefällt es und dir auch – wieso ist ohne Sattel reiten trotzdem keine Dauerlösung?

Viele Pferde mögen es sehr gerne, ohne Sattel  geritten zu werden – selbst wenn ihnen ihr Sattel sehr gut passt. Dennoch ist die Belastung für den Rücken deutlich punktueller und man “hängt” gewissermaßen immer auf der Wirbelsäule. Der Sattel hat einen Sattelbaum, einen Wirbelkanal und die Kissen, die den Druck verteilen und es dem Pferd auf Dauer besser ermöglichen, seinen Brustkorb anzuheben.

Hinzu kommt, dass wir ohne Sattel den Rücken nicht so freigeben können, wie es beim Leichttraben und im leichten Sitz der Fall ist. Manche können das dank einer hohen Körperspannung zwar auch ohne Sattel. Für die Pferde ist es aber nicht angenehm und entlastend.

Wenn ein Pferd schwungvoll über den Rücken vorwärts geht, bringt das einen Reiter schonmal an seine körperlichen Grenzen. Deswegen wird es dann häufig etwas weniger lang und vorwärts ausgeführt. Auf Dauer fehlt dieser wichtige Teil der Bewegung natürlich beim Training. Die Pferde schwingen dann progressiv weniger. Hat ein Pferd von Natur aus viel Schwung, schlägt dieser Effekt natürlich mehr zu Buche als bei einem stabileren, sich weniger schwungvoll bewegenden Pferd.

Und natürlich ist es, wie alles, auch immer eine Frage der Balance. Wenn du dein Pferd viel und gut und auch dynamisch am Boden arbeitest und selbst eine gute Körperspannung hast, kann es dein Pferd auch kompensieren, auch einmal öfter ohne Sattel geritten zu werden.

Unabhängig davon, ob du mit oder ohne Sattel reitest, solltest du dem Rücken und sich dort eventuell befindenden oder entstehenden Verspannungen große Aufmerksamkeit schenken. Sie geben dir eine wichtige Rückmeldung darüber, wie es deinem Pferd gerade mit eurem Training geht.

Welche Voraussetzungen beim ohne Sattel reiten erfüllt sein sollten

Grundsätzlich solltest du mit Sattel in der Lage sein, dein Pferd einigermaßen an die Hilfen zu stellen, möglichst zu deinem Wunschzeitpunkt durchzuparieren und halbwegs sicher abzuwenden, bevor du dich ohne Sattel draufsetzt. 

Ist dein Sattel das Problem, aus dem diese Dinge schwierig sind, wirst du ohne ihn schnell feststellen, dass es einfacher ist.

Kennt dein Pferd das reiten ohne Sattel noch nicht, finde ich es sinnvoll, beim Aufsteigen eine zweite Person am Boden zu haben, die dein Pferd anhalten kannst, wenn du noch nicht richtig sitzt.

Ohne Sattel zu reiten ist gefährlicher, als mit Sattel zu reiten. Naturgemäß kommst du (auch wenn du ein Barebackpad hast) schneller ins Rutschen. Wenn du es ausprobieren möchtest, such dir also einen ruhigen Tag, an dem dein Pferd ausgeglichen ist. Deswegen rate ich auch immer davon ab, ohne Sattel ins Gelände zu gehen.

Wie fängst du an, ohne Sattel zu traben?

Je nach Pferd kann das Antraben eine ganz schöne Umstellung sein. Wenn du beim Antraben sofort ins Rutschen oder Klammern kommst, probier doch mal diese Strategie aus: Trabe nur ganz kurz und auch unter Tempo. So kurz und so wenig Trab, dass es für dich gerade noch ok ist. Wenn du anfängst, dich zu verspannen (oder noch besser, einen Moment vorher), parierst du wieder zum Schritt durch. Im Schritt sortierst du deinen Sitz wieder, entspannst möglicherweise entstandene Verspannungen und trabst dann wieder an. 

Von Mal zu Mal wirst du ein klein wenig mehr Trab zulassen können und auch länger traben. Dieser Prozess geht relativ schnell, weil du deinem Körper so die Möglichkeit gibst, sich auf die Bewegung einzustellen und sie zuzulassen. Willst du driekt am Anfang zu viel, blockiert dein Körper und es scheint dir wie ein Ding der Unmöglichkeit, jemals im dynamischen Trab mit deinem Pferd dahinzuschweben. 

Gymnastisch ist das für dein Pferd natürlich kein besonders sinnvoller Ablauf. Longiere es am besten am nächsten Tag, damit es eventuell entstandene Verspannungen auflösen kann.

Bareback-Pads und Co

Die Auswahl an Pads ist mittlerweile groß. Ich finde das Reiten mit Pad durchaus angenehm. Vor allem weil ich einen trockenen Po und Beine behalte, wenn das Pferd etwas schwitzt. 

Wie oben schon erwähnt, ist der Halt mit Pads deutlich größer. Ein weiterer Vorteil. Allerdings kann das auch zum Nachteil werden, weil sich der Reiter dadurch besser festklammern kann und auch bei einer Schiefe im Sitz besser sitzen bleibt. 

Ich mag Pads, die einem die Sitzposition zu stark vorgeben nicht so gerne. Wenn du auf dem blanken Pferderücken reitest, setzt dich das Pferd immer an die Stelle, an der es dich am besten tragen kann. Bei denen mit vorgegebenem Sitz kannst du da nicht hinrutschen. Du bist dann meist etwas weiter hinten, was es für das Pferd schwerer macht, dich anzuheben. Dasselbe gilt für Pads mit einer ausprägten Oberschenkelpausche. Für manche Reiter ist diese Pausche zu senkrecht, so dass sie eher anfangen, mit ihrem Bein zu klemmen.

Eine Sache, die Pferden echte Probleme machen kann, ist die Verwendung von Fellsätten mit Steigbügeln. Hier ist die Belastung auf dem Pferderücken punktuell extrem hoch, was zu entzündlichen Prozessen in diesem Bereich führen kann. Von der Verwendung von Steigbügeln solltest du aus diesem Grund auf jeden Fall absehen.

Ich liebe das Reiten ohne Sattel. Und ich liebe das Reiten mit Sattel (besonders, wenn ich eine Weile ohne geritten bin, weil mein Sattel zum Ändern war).

Ich hoffe, dass dir dieser Artikel hilft, einen differenzierten Blick auf das Reiten mit und ohne Sattel zu werfen. Auch wenn der passende Sattel uns beim Management unseres Pferdes besonders fordert, ist es auch keine Dauerlösung, ihn einfach wegzulassen.

Für die Fotos bedanke ich mich ganz herzlich bei Marie-Christin Zurbrüggen von Herzenshundfotografie. Mehr zu mir als Ausbilderin erfährst du hier.

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