Der Reitersitz – im Dialog mit dem Pferd?

Wenn ich neue Reiter-Pferd-Paare  kennenlerne, geht es im Gespräch zunächst um Wünsche, Ziele und Themen, mit denen die beiden gerade zu tun haben. Dabei wird oft zwischen Sitz- und Ausbildungsproblemen unterschieden. Z.B. höre ich: “Ich knicke oft über der Hüfte ein und mein Pferd ist sehr schief und verwirft sich auf einer Hand sehr.” Dass es da einen Zusammenhang gibt, ist den meisten klar. Oft können sie sich aber noch nicht vorstellen, wie sie ihn konkret so beeinflussen können, um beide Probleme mit einem Mal zu lösen. Stattdessen wird häufig einer “Form” nachgeeifert, die auf dem Pferderücken idealerweise eingenommen werden soll, statt die “Funktion” des Sitzes zu erfühlen, um so in einen neuen, besseren und harmonischen Bewegungsdialog mit dem Pferd einzutauchen.

Den Unterschied zwischen Form und Funktion kannst du dir in etwa so vorstellen: Ein Sitz, bei dem es nur darum geht, eine Form einzunehmen, ist wie ein gefühlvolles Gedicht, das frei von jeglicher emotionaler Betonung korrekt vorgelesen wird. Im Gegensatz zu einem Vortrag, bei dem die Bedeutung der Worte wirklich mitgefühlt werden. Selbst wenn der zweite Vortragende sich mal verspricht, kommt die Botschaft meines Erachtens viel eher beim Zuhörer an, als bei dem Gedicht, das nur formal vorgelesen wird.

Besser mit dem Reitersitz fühlen

So unterrichte ich auch. Mir ist wichtig, dass du verstehst und es dir schon gefühlsmäßig vorstellen kannst, was du vom Pferd möchtest, bevor du es reitest. Denn dann klappt die Übertragung viel besser. Angenommen, du neigst dazu, schief auf dem Pferd zu sitzen und aus deiner Wirbelsäule zu einer Seite wegzukippen. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder mache ich dich immer darauf aufmerksam, wenn es passiert. Wir gehen das Ganze formal an: Immer wenn du die Form verlässt, sage ich Bescheid, bis du es selber merkst. Oder ich erkläre dir, dass die Achse deiner Wirbelsäule im Zusammenhang mit der Brustbein-Widerristachse deines Pferdes steht. Auf dem Foto ist sie in blau eingezeichnet.

Kann ein Pferd sich gut dynamisch unter dir stabilisieren, ist sie ungefähr senkrecht. Hat es damit noch Probleme, kippt sie zur Seite weg. Und du obendraufsitzend auch. Wenn dir aber dieser Zusammenhang bewusst ist, reitest du ganz anders: Du achtest darauf, wann dein Pferd kippt und stabilisiert dich daraufhin besser, sodass dein Sitz ihm den Weg aus dem unerwünschten Bewegungsmuster heraus zeigt. In dieser Variante lernst du, deine Aufmerksamkeit auf das zu richten, was dein Körper dir über dein Pferd mitteilt. Du erfühlst die Funktion deines Sitzes im Dialog mit dem Pferd, statt nur wie eine Schablone eine Form auszufüllen. 

Deine Alltagshaltung reitet immer mit

Natürlich gibt es auch muskuläre Dysbalancen, die du aus deinem Alltag mit aufs Pferd nimmst. Wenn du beispielsweise immer deinen Kopf zu einer Seite schief hälst, wenn du dich konzentrierst, wirst du diese Haltung auch einnehmen, wenn du dich auf dem Pferd konzentrierst. Es ist also hilfreich, sich die Konzentrationshaltung am Boden abzugewöhnen, damit sie im Sattel nicht unbewusst auftritt, wenn du dich bemühst, etwas besonders gut umzusetzen.

Und auch andere Dinge hinterlassen Spuren in unserem Körper: Viel sitzen, einseitige Arbeitshaltungen, deine mentale Verfassung. Wenn du dir deinen Körper vorstellst, wie ein Instrument, das in Harmonie mit dem Pferdekörper erklingen soll, solltest du es vorher stimmen und gut kennen. Bei dir beinhaltet das “Stimmen” z.B. Ausgleichssport zu Verbesserung deiner Beweglichkeit, Stabilität und deines Körperbewusstseins. Mehr dazu liest du in meinem Beitrag Yoga bringt Reitern mehr als „nur“ Fitness. Damit dein Pferd bestmöglich in Harmonie mit dir erklingen kann, sind die Managementfaktoren wie Haltung, Equipment und osteopathische oder physiotherapeutische Versorgung entscheidend. Dazu wird es beim Online-Themenabend auch gehen. Hier nochmal der Link zur Anmeldung.

Ich glaube, dass Sitzprobleme – die vermeintlichen Hindernisse auf unserem Reitausbildungsweg – in echt Wegweiser sind, die uns unserem Ziel immer näher bringen, weil sie uns helfen, sowohl unseren eigenen als auch den Pferdekörper besser zu verstehen und dadurch eben auch, eine bessere Reiterin oder ein besserer Reiter zu werden. 

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